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Der Kindssturz auf Kammerstein

Es war einmal in den düsteren Tagen des Faustrechts, da thronte auf dem schroffen Felsen über dem Liesingtal die stolze Burg Kammerstein. Dort hauste ein Ritter namens Hainze – wild und finster wie der Berg selbst, auf dem seine Veste ruhte. Er war ein rauer Gesell, dem das Klirren der Schwerter und das Krachen zerschmetterter Harnische lieber waren als jedes freundliche Wort. Streit und Zwist waren ihm lieber als Friede und Einkehr, und wenn der Bach im Tal wütend über die Steine tobte, schien es, als sei er ein Bruder im Geiste dieses grimmigen Ritters.

Doch wo Schatten ist, da gibt es auch Licht – und das Licht auf Burg Kammerstein war Frau Emma, die holde Gattin des Ritters. Sanft war sie, wie der Sommer nach einem langen Winter, milde und barmherzig, wo ihr Gemahl hart und unversöhnlich war. Was Hainze zerstörte, versuchte sie zu heilen; was er durch Zorn zerschlug, suchte sie durch Güte zu verbinden. Für die Armen und Bedrängten war sie ein Engel, für die Verirrten ein Stern der Hoffnung.

Eines Tages kehrte Ritter Hainze von einem Raubzug zurück – grimmiger als je zuvor. Schweigend saß er in der Halle und leerte einen Becher nach dem anderen. Dann plötzlich – mit einem Krachen – schleuderte er den silbernen Humpen auf den Eichentisch, dass es durch die Halle dröhnte. Die kleine Else, das Töchterlein des Hauses, schreckte weinend auf, und Frau Emma eilte zu ihr, um sie zu beruhigen.

„Ach, mein Gemahl,“ sprach sie sanft, „was lastet so schwer auf deinem Herzen, dass es dich so bedrückt? Sprich mit mir – du weißt, ich war dir stets treu zur Seite.“

Doch der Ritter fluchte wütend. Emma aber legte ihm sanft die Hand auf den Arm und bat: „Schweig still – fluche nicht! Was immer dich kränkt, sprich es aus, aber lade nicht noch Schuld auf deine Seele.“

Da erzählte Hainze von einem alten Pilger, der es gewagt hatte, ihm bei der Plünderung entgegenzutreten und ihn mit düsteren Worten zu warnen. „Er sprach von einer Zeit, in der ich mein Leben freiwillig aufgeben würde – nur um Unheil abzuwenden! Ein törichter Schwätzer! Ich ließ ihn züchtigen, und nun, so schwöre ich’s, soll er im Burghof bei langsamem Feuer enden!“

Doch Frau Emma trat ihm entgegen, entschlossen und furchtlos: „Nur über mich und unser Kind hinweg wirst du diesen Mord vollbringen!“ Und sie schlang ihre Arme um ihn, bis sein Zorn verflog. Er versprach, vorerst nichts gegen den Pilger zu unternehmen – doch ließ er ihn weiter im dunklen Verlies schmachten. Emma flehte um Gnade, doch Hainze blieb hart. „Er soll selbst um meine Milde bitten!“, knurrte er. „Solange er zu stolz dazu ist, mag er den Unken und Kröten Gesellschaft leisten!“

So verging der Winter, und der Frühling kam über das Land. Noch immer bemühte sich Emma um das Herz ihres Gemahls – vergeblich.

Da geschah es eines Tages, dass die beiden durch den lichten Burgwald wandelten, Hand in Hand. In behutsamen Worten lenkte Emma das Gespräch wieder auf den armen Gefangenen. Doch Hainze wurde zornig, seine Stirn rötete sich, und er donnerte: „Der alte Prophet bleibt im Verlies, bis mein Herz so weich wird wie das eines Rehes!“

Kaum hatte er das gesagt, da traten sie auf eine freie Wiese, von der aus sie ihre Burg auf dem Felsen erblickten. Und plötzlich rief eine helle Kinderstimme von oben – und Emma erblasste: „Heilige Mutter Gottes! Dort am Fenster steht unsere Else – ganz allein!“

Hainze blickte auf – und sah, wie das kleine Mädchen den Eltern zuwinkte, die Ärmchen ausstreckte – und, o Graus! – zu weit nach vorn kippte und in die Tiefe stürzte.

Ein furchtbarer Schrei gellte durch den Wald. Hainze und Emma stürzten zum Fuß des Felsens, das Herz voll Angst und Schrecken. In seinem Innersten erkannte der Ritter die göttliche Strafe für sein hartes Herz. „Wenn mein Kind nur lebt“, flüsterte er, „so will ich mich ändern – mit ganzer Seele, für alle Zeit.“

Und siehe: dort, auf weichem Moos, saß die kleine Else, lachend und unversehrt, mit Blumen spielend. Der Wind hatte sich in ihr Kleid verfangen und sie wie ein Blatt sanft zur Erde getragen.

Voller Jubel schlossen die Eltern das Kind in die Arme. Hainze trug seine Tochter zur Burg zurück – und kaum dort angelangt, war sein erstes Wort: „Lasst den Pilger frei!“

Er holte den Greis aus dem Verlies, bat ihn um Verzeihung, beschenkte ihn reichlich und entließ ihn mit Ehren. Und als Zeichen seiner Reue ließ er eine Kapelle errichten und in ihr ein Bild aufhängen – es zeigte den Sturz des Kindes und die Hand des Himmels, die es auffing.

Von diesem Tage an war der Ritter ein neuer Mensch. Aus dem harten Streiter war ein milder Herr geworden, der seine Burg zum Ort des Friedens machte. Und niemand war darüber glücklicher als Frau Emma – die stille, gütige Seele von Kammerstein.